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Musik
ist ein Weg zur Wahrheit. Die stärkste Musik ist die, die
man macht, weil man sie mit anderen teilen will.
Träume
An
meine Träume erinnere ich mich fast nie. Wenn ich aufwache,
ist alles weg. Aber ich habe bestimmte Wünsche. Starke Wünsche.
Ich betrachte mich als Student des Lebens. Die schwerste Kunst
ist die Kunst, zu leben. Sie ist schwerer zu erlernen als jedes
Instrument....Wenn es etwas gäbe, das ich meinen Traum nennen
würde, dann ist es der Wunsch, ein ganzer Mensch zu sein.
Einer, der es schafft, das Leben anderer zu bereichern, statt
nur das zu tun, was viele Leute unter Musik verstehen: Das Virtuose.
Kindliche
Lernbereitschaft
Wenn
wir Kinder sind und neue Fähigkeiten erlernen, zum Beispiel
Fahrrad zu fahren, gehen wir ein echtes Risiko ein. Niemand, der
zum ersten Mal aufein Fahrrad steigt, schafft das, ohne ein paar
Mal zu stürzen und sich die Knie aufzuschlagen. Wenn wir
aber älter werden, fürchten wir, uns lächerlich
zu machen. Wir haben diese Tendenz, immer nach Schuld zu suchen.
Wir konzentrieren uns auf die negativen Seiten und erleben uns
als Opfer der Umstände. Wir bekommen Angst vor den Risiken,
die nötig sind, um etwas über das Leben zu lernen. Für
viele Menschen ist das Leben eine Reihe von Hindernissen, die
sie mühevoll überwinden, starr darin, Chancen zum Lernen
zu erkennen. Ich wünsche mir mehr von dieser kindlichen Lernbereitschaft.
Musikindustrie
und Wettbewerb
Die
Musikindustrie hat im Allgemeinen, wie alle Industrien, weniger
damit zu tun, Wahrhaftigkeit zu schaffen, als Geld zu verdienen.
Aber Musik ist ein Weg zur Wahrheit. Ich glaube, die stärkste
Musik ist die, die man macht, weil man sie teilen will. Nicht
aus einem Geist des Wettbewerbs heraus. Es geht um Vertrauen.
Vertrauen in dich und andere. Und um eine Harmonie mit den Kräften
des Augenblicks.
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Interview
mit Anne-Sophie Mutter, zitiert aus "Die
Zeit", Ausgabe 47 vom Novembver 2004
Ich habe einen Traum
Anne-Sophie Mutter
wurde 1963 im badischen Rheinfelden
geboren. Ihre Karriere als Violinistin begann sie mit 13 Jahren
bei den Salzburger Pfingstfestspielen unter der Leitung von Herbert
von Karajan. Anne-Sophie Mutter wurde mit dem Deutschen Schallplattenpreis
und dem Grammy, dem bedeutendsten amerikanischen Musikpreis, ausgezeichnet
und für ihr soziales Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz.
Hier träumt sie von einem Konzert auf dem Mond
Musik ist nichts Reales. Vielmehr ist
sie eine Klangvorstellung, die immer wieder neu aufersteht. Wenn
ich Violine spiele, arbeite ich an Musik wie an einer Skulptur,
die niemals fertig wird. Im Grunde ist Musik wie Nebel, der nach
dem Konzert verflogen ist. Bestenfalls bleibt sie in unserem Kopf
und beseelt die Fantasie. Da ist nichts Greifbares, nichts Messbares.
Sie ist zwar auf dem Papier festgehalten; aber die Seele der Musik,
die Spannung, die Empfindungen und die Emotionen, die sie auslöst:
All das steht nicht auf dem Papier. Deshalb ist Musik wie ein
Traum, eine Verbindung zu unserer Spiritualität versinnbildlicht
etwa durch die sich beinahe berührenden Finger Gottes und
Adams in der Sixtinischen Kapelle.
Hinter eine Klangfarbe blicken zu können,
die millionenfache Vielfalt der Modulation von Musik zu erfahren,
immer neue, immer andere Register von Musik kennen zu lernen,
also nicht stehen zu bleiben bei dem, was man erfuhr, gehört
mit zu diesem Traum.rfuhr, gehört mit zu diesem Traum. Noch
immer ist mein Kaleidoskop viel zu klein. Ich bin immer auf der
Suche nach neuen, zeitgenössischen Komponisten, die mir zeigen,
welch neue Architektur Musik noch haben kann. Der Gedanke, dass
mir irgendwann die Kraft, Muße oder Neugierde fehlt, meiner
Violine neuartige Töne zu entlocken, graust mich. Ich möchte
mein ästhetisches Geschmacksspektrum weiter entwickeln. Ich
möchte niemals stehen bleiben in meiner Kreativität
und meinem Mut zu Neuem. Stagnation wäre das Ende. Wer all
seine Ziele erreicht, hat sie zu niedrig gesetzt. Ich möchte
möglichst viel in kurzer Zeit aufnehmen und verarbeiten,
um wenigstens einem Teil des riesigen Repertoires an Musik meinen
Stempel aufzudrücken. War es früher mal ein Traum, die
Frage nach dem Sinn des Lebens beantworten zu können, träume
ich heute davon, schneller als die Vergänglichkeit des Lebens
zu sein.
Es wird einem ja beispielsweise gerne
unterstellt, dass man wie im 18. oder 19. Jahrhundert fühlen
müsse, wenn man Musik aus dieser Zeit interpretiert. Völlig
vergessen wird, dass Mozart und Beethoven Visionäre waren
und ihrer Zeit weit voraus. Beide hatten einen Traum. Ich bin
nicht der Meinung, dass man eine so genannte authentische Spielweise,
die man ja auch nur in Relativität authentisch nennen kann,
darbieten muss. Vielmehr begegne ich der Musik alter Komponisten
von Mozart, Beethoven oder Haydn mit den Sichtweisen
meines zurückliegenden Musiker-Lebens. So habe ich meine
Geige aus dem 18. Jahrhundert an die Musikherausforderungen der
heutigen Zeit angepasst mit einem längeren Hals und
moderner Besaitung ist sie nuancenreicher denn je.Ich meine, als
Interpret von Musik, aber auch als Musikliebhaber wird man automatisch
zum Weltenbürger, denn jeder Mensch, egal, welcher Nationalität,
versteht auf seine Weise, was Noten ausdrücken. Ist das nicht
traumhaft?
Ich würde gern zum Mond fliegen
und dort das erste Konzert spielen. Bachs Solosonaten. Kraterlandschaft.
Kein Publikum. Riesige Satellitenschüsseln übertragen
meine Musik ins Universum und locken Lebewesen an, von denen wir
heute noch nichts wissen. Wenn Kunst allumspannend ist, ist ihr
die Erde nicht genug. Es muss bei anderen Kosmosbewohnern auch
Kreativität geben. Mich würde brennend interessieren,
wie die sich auslebt. Wie klingt deren Musik? Was ist deren Begriff
von Kunst? Über ihre Kreativität könnte ich diese
Wesen besser verstehen als über eine »sprachliche«
Kommunikation. Über das, was sie in Bildern denken, über
Skulpturen sagen und in Musik ausdrücken, wird mir klar,
was ich mir schon immer erhoffte und erträumte: dass wir
nicht die einzigen Lebewesen der Schöpfung sind. Es wäre
doch bestürzend, wenn es nur uns Menschen gäbe und damit
das Maß an Intellektualität und Humanismus ein für
alle Mal gesetzt wäre.
Der Traum, mich und meine Fähigkeiten
stets weiterzuentwickeln, gar auf dem Mond für Kosmosnachbarn
zu spielen, hat auch etwas mit meinem Verständnis von Geschwindigkeit
zu tun. Wer stehen bleibt, wird zu einer Schnecke und irgendwann
überholt. Unstillbare Neugier heißt der Virus, den
ich in mir trage. Herbert von Karajan, ein Mann, dem ich viel
verdanke, weil ich mich mit ihm kreativ auseinander setzen konnte,
war da mein Vorbild. Sein unstillbares Verlangen, sich Neuem zu
öffnen Interpretationen, einem noch schnelleren Auto,
einem Segelboot, Flugzeugtypen oder dem Beginn der Digitalisierung
von Musik immer wollte er Neues entdecken. Insofern war
er ein schneller, leidenschaftlicher Mensch, der sich und andere
vorwärts trieb. Heute finde ich es richtig, dass ich ihm
als Teenager blind gefolgt bin, denn er weckte Sehnsüchte
in mir, die der Schlüssel zu meinen Träumen sind.
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